Eine verhaltensökonomische Perspektive auf das Coronavirus: Nudges - Kleine Massnahmen mit grosser Wirkung #WashYourHands

 

01.04.2020, von Ann-Kathrin Crede

In unseren ersten beiden Beiträgen zu Verhaltensökonomik und Coronakrise haben wir uns mit #StayHome als Beitrag zu einem öffentlichen Gut und der Psychologie von Hamsterkäufen beschäftigt (#VolleRegale). Im nachfolgenden Beitrag geht es um die grosse Wirkung von kleinen Massnahmen und wie deren Einhaltung gefördert werden kann.

Wie die Politik Einfluss nehmen kann

Möchte die Politik das Verhalten ihrer Bevölkerung beeinflussen, so stehen ihr unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. So kann sie beispielsweise Verbote aussprechen – etwa ein Parkverbot in einer Quartierstrasse – und dessen Nicht-Einhaltung mit einer Geldbusse bestrafen. Oder sie kann positive und negative finanzielle Anreize setzen: Etwa indem sie den Austausch einer alten Ölheizung durch einen Fernwärmeanschluss subventioniert, oder Zigaretten mit hohen Steuern belastet. Im Vergleich zu diesen klassischen Instrumenten verfolgt das sogenannte Nudging (= Anstupsen) einen anderen Ansatz: Die Idee dabei ist, Menschen durch kleine Veränderungen in der Entscheidungsarchitektur zu «besseren» Entscheidungen zu stupsen (Thaler, Sunstein 2008). So konsumieren Gäste einer Cafeteria mehr Obst, wenn dieses am Anfang der Essensausgabe platziert wird statt am Ende. Oder Kunden eines Stromanbieters wählen eher grünen Strom, wenn dieser per Default bereits ausgewählt ist. Zentral dabei ist, dass den Leuten keine Vorschriften gemacht werden, sondern sie nach wie vor frei entscheiden können. Zudem ist die Erkenntnis wichtig, dass es so etwas wie eine neutrale Entscheidungsarchitektur nicht gibt, d.h. Menschen immer in irgendeiner Form gestupst werden. Schliesslich kann das Essen in der Cafeteria nicht ohne Reihenfolge angeordnet sein. Die Forschung hat gezeigt, dass Nudges Verhalten signifikant beeinflussen und wohlfahrtssteigernde Wirkung haben können. Einige Regierungen, etwa in Grossbritannien, haben sogenannte Nudge Units aufgebaut, welche die Wirtschaftspolitik beraten und mitgestalten.

In der derzeitigen Krise wenden Regierungen eine Vielzahl an Instrumenten an, um das Verhalten ihrer Bevölkerung zu beeinflussen und damit zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus beizutragen. Während für einige Bereiche des öffentlichen Lebens nur klassische Massnahmen wie etwa Verbote in Frage kommen, um ein bestimmtes Verhalten herbeizuführen (dazu zählen die Schliessung von Kitas, Schulen und Restaurants oder Verbote von Veranstaltungen und Menschenansammlungen mit mehr als 5 Personen), sind in anderen Bereichen solch strikte Massnahmen weder umsetzbar noch wünschenswert. Ein solcher Bereich umfasst Hygiene- und Verhaltensvorschriften, die zur Zeit den Alltag in zahlreichen Ländern prägen. Dort können Nudges zum Einsatz kommen, welche den Leuten eine Hilfestellung geben, das «richtige» Verhalten leichter und nachhaltiger umzusetzen (Sunstein 2014).

"So schützen wir uns"

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat unter dem Motto «So schützen wir uns» eine umfassende Kampagne lanciert, die mit verständlich aufbereiteten Informationen und ansprechend gestalteten Bildern und Videos über die einzuhaltenden Hygiene- und Verhaltensvorschriften aufklärt. Zu den wichtigsten Vorschriften zählen das Abstand halten zu anderen Personen und das regelmässige und gründliche Händewaschen, welches die Übertragung von Krankheiten nachweislich reduzieren kann. Dennoch zeigen Studien, dass sich viele Leute die Hände nicht oft oder gründlich genug waschen. Warum ist das so? Gründe dafür könnten der Mangel an Wissen, Selbstregulierung oder Motivation sein.

Welche Nudges können konkret eingesetzt werden, um die gewünschten Verhaltensweisen zu fördern?

  • Soziale Normen: In einer kontrollierten Feldstudie (auch randomized controlled trial genannt) konnte gezeigt werden, dass Händewaschen durch den Nudge soziale Normen gefördert werden kann. So wuschen sich die Leute in einem öffentlichen WC dann häufiger die Hände, wenn ein Schild angebracht war, das auf das Händewasch-Verhalten anderer Leute aufmerksam machte (im Vergleich zu einer Kontrollgruppe) (Judah et al. 2009). Informationen über das Verhalten anderer bzw. über die soziale Norm können Verhalten massgebend beeinflussen.
  • Einfachheit/Benutzerfreundlichkeit: Um alle Krankheitserreger loszuwerden, wird empfohlen, für mindestens 20 Sekunden die Hände zu waschen. Anstatt im Kopf bis 20 zu zählen, kann es helfen, während des Händewaschens zweimal Happy Birthday zu singen, ein Nudge namens Einfachheit oder Benutzerfreundlichkeit. So kann ein bestimmtes Verhalten gefördert werden, wenn es möglichst einfach umsetzbar ist.
  • Erinnerungen: Um ihre Kunden auf die geltenden Vorschriften aufmerksam zu machen, zeigen Supermärkte auf den digitalen Anzeigen ihrer Waagen die Vorschriften des BAG (Nudge Erinnerung). Es konnte gezeigt werden, dass bestimmte Verhaltensweisen hervorgerufen werden können, wenn Menschen immer wieder daran erinnert werden.
  • Visuelle Hilfen/Warnungen: Damit die Kunden den Mindestabstand von zwei Metern einhalten, haben Supermärkte auf dem Fussboden Markierungen angebracht. So zeigen beispielsweise Linien jeweils den zwei-Meter-Abstand an (Nudge visuelle Hilfe), Warnzeichen hingegen Stellen, wo sich niemand aufhalten soll (Nudge Warnung). So ist bekannt, dass visuell auffällige Hinweise oder Warnungen Verhalten in eine gewünschte Richtung lenken können.

 

Quellen:

Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein (2008). Nudge: Improving decisions about health, wealth, and happiness, Yale University Press, New Haven.

Sunstein, C. R. (2014). Nudging: a very short guide. Journal of Consumer Policy, 37(4), 583-588.

Judah, G., Aunger, R., Schmidt, W. P., Michie, S., Granger, S., & Curtis, V. (2009). Experimental pretesting of hand-washing interventions in a natural setting. American Journal of Public Health, 99(2), 405-411.

 

Haben Sie Feedback oder Fragen? Bitte wenden Sie sich direkt per Mail an die Autorin oder liken/kommentieren/sharen Sie auf Linkedin.

Zurück